Heute geht es um einen unserer bekannten Greifvögel: den Turmfalken. (Turm)Falken ordnet man aufgrund ihres Verhaltens (umgangssprachlich) den Greifvögeln zu, allerdings sind diese mit den „richtigen“ Greifvögeln wie Adlern oder den Habichtartigen weniger eng verwandt, als mit Singvögeln und speziell Papageien. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich im Laufe der Evolution bestimmte Merkmale aufgrund vorherrschender Begebenheiten mehrmals neu herausgebildet haben, man spricht dabei von konvergenter Evolution.
Wenn man sich näher mit (Turm)Falken beschäftigt, merkt man die Unterschiede zu den anderen Greifvögeln auch deutlich: in der Anatomie sowie im Verhalten. Dazu später mehr.
Turmfalken sind meist recht schnell auszumachen, da sie außerordentlich gerne den Rüttelflug (auf der Stelle fliegen) als Jagdtechnik einsetzen, um Ausschau nach Beute zu halten. Im Winter fällt dies meist nicht so auf, da sie dann, um Energie zu sparen, mehr zur Taktik des Mäusebussards greifen: auf einem Ansitz warten.
Auf den letzten Fotos sieht man auch etwas falkentypisches: Das Paar bleibt auch nach der Brut seinem Revier & einander treu. Dort sieht man auch schön den Geschlechtsdimorphismus: Das Weibchen ist gänzlich rot-braun, der Terzel (Männchen) hat einen bläulich-grauen Kopf. Wahrlich hübsche Tiere
Oben schrieb ich, dass Falken biologisch und evolutionär nicht zur Ordnung der Greifvögel gehören und damit auch einige besondere Merkmale aufweisen. Eines dieser Merkmale ist der sogenannte „Falkenzahn“. Dies ist ein Zacken in der Form des Oberschnabels, der dabei hilft der Beute schnell und effizient das Genick zu brechen. Richtige Greifvögel wie Habichte, Bussarde oder Adler töten ihre Beute dagegen, indem sie ihre Beute durch bloße Kraft ihrer Fänge erdrosseln oder durch die scharfen und kräftigen Krallen töten.
Auch beim Verhalten gibt es viele Unterschiede. Etwas anthropomorphisch gesehen, kann man sagen, dass es bei Falken weniger „rabiat“ im Nest zugeht. Kainismus (Das Töten der Geschwisterküken) kommt nicht vor und das Männchen ist auch wesentlich aktiver an Brut und Fütterung beteiligt als bei Vögeln aus der Ordnung der Greifvögel.
Turmfalken sind unsere häufigsten Falken und wahrlich schön und elegant anzusehende Tiere
Hier gibt es nochmal den Turmfalkenterzel (Männchen). Auch, wenn er im Apfelbaum sitzt: so richtig interessieren tut er sich nicht für Obst. Am liebsten holen sie sich (Feld)Mäuse, welche sie beim Rütteln in der Luft, unten im Feld mit ihren superscharfen Augen erspähen können.
Die Augen von Turmfalken sehen nicht nur extrem viel schärfer als unsere Augen, wie einige andere Vögel auch, können sie Licht im UV-Bereich sehen. Das ist deswegen hilfreich für sie, denn Mäuse-Urin reflektiert Licht im UV-Wellenlängenbereich. Das ist gleich aus 2 Gründen faszinierend: Zum einen, weil Turmfalken damit nicht nur viel weiter und in größeren Spektralbereichen als wir sehen können, sondern zeigt auch eine tolle kognitive Leistung: Wenn da frischer Mäuse-Urin ist, dann ist eine Maus nicht weit.
An diesem Novembertag, in einem einem Kies-Seengebiet in Thüringen, hat sich der Nebel erst nach 12 Uhr mittags verzogen. Und so war meine erste nebelfreie und gute Aufnahme die hübsche Turmfalken-Dame auf den Fotos.
Turmfalken beobachtet man im Winter nicht so oft wie im Sommer, was mehrere Gründe hat. Zum einen verzichten sie im Winter meist auf den energieaufwendigen Rüttelflug und präferieren die Jagd von einer Ansitzwarte aus. Zum anderen gibt es in Mitteleuropa auch viele sogenannte Streif- bzw. Strichvögel, d.h. sie ziehen nicht in ein bestimmtes Überwinterungsgebiet oder weit weg, sondern streifen in geographischer Nähe auf der Suche nach einem besseren Nahrungsangebot (bspw. Felder mit mehr Mäusen) oder wärmeren Gebieten (bspw. Innenstädte) umher und begeben sich lediglich in einen anderen „Landstrich“ – Vom „Umherstreifen“ und „Landstrichen“ kommen dann auch die beiden synonymen Begriffe.
Mitunter gilt der Turmfalke allerdings auch Teilzieher, da die oben genannten Begriffe nicht klar definiert sind, aber auch, weil ein Teil der Population in den Mittelmeerraum zieht und ein anderer bleibt. Je weiter man Richtung Nord- und Osteuropa geht, desto ausgeprägter ist das Zugverhalten, scharfe Grenzen gibt es dabei nicht. Und dann gibt es natürlich noch, wie auch bei einigen klassischen Arten, die oft als Standvögel oder Wintervögel bezeichnet werden, noch die Gäste aus dem Norden, die bei uns bleiben und mitunter anstelle von unseren weggezogenen Brutvögeln auftreten. Das Rotkehlchen wäre ein weiteres Beispiel dafür.
Der „Turmi“ ist damit ein tolles Beispiel dafür wie schwierig menschengemachte Schubladen in der Natur sind und wie komplex speziell das Zugverhalten von Vögeln ist und ein einzelner Begriff meist nicht ausreicht, um eine Antwort auf die Frage nach dem Zugverhalten zu geben.
Mit Tarnung, Geduld, vorherigen Beobachtungen und kurzen Belichtungszeiten konnte ich diese Szenen eines Turmfalkenpaares auf einem Industriegelände einfangen.
Turmfalken bauen keine Nester und sind daher auf die Verfügbarkeit passender potenzieller Brutplätze angewiesen. Das sind oftmals verlassene Krähennester an Waldrändern, Alleen und Feldgehölzen oder Nischen und Löcher an Felsen.
Wie es der Name andeutet, nehmen Turmfalken auch gerne potenzielle Brutplätze in Sekundärlebensräumen wie bspw. Plateaus auf Türmen und Schornsteinen, Nischen an Schlössern, Burgen, Ruinen, Dächern oder auch in Scheunen sowie in Steinbrüchen als auch passende Nistkästen an.
Ich hatte ja oben bereits über das komplizierte und diffizile Zugverhalten geschrieben; bei den „Turmis“, die als Standvögel hier bleiben und auch ihr Revier halten, bleiben die Paare in monogamer Dauerehe zusammen, während es bei ziehenden Turmfalken wohl auch aufgrund von Revierkämpfen bei der Rückkehr vermehrt zu Partnerwechseln kommt.
Herr und Frau Turmfalke waren auch im Gebiet; mind. 3 Individuen konnten wir als Überwinterer beobachten und das Männchen zweimal dabei beobachten, wie er eine Maus (wahrsch. Feldmaus) gefressen hat. Falken gehören nicht zu den echten Greifvögeln (Accipitriformes), sondern bilden eine eigenen Ordnung (Falconiformes), da sie näher mit Singvögeln verwandt sind und eine Menge anatomische und verhaltensbiologische Unterschiede aufweisen. Bspw. wird die Beute durch einen Genickbiss mithilfe des „Falkenzahns“ im Schnabel getötet.
Am 21.06.22 konnten wir bei einem Hof diese Nisthilfe für Turmfalke sehen und was für eine Überraschung: Es war nicht nur ein Brutpaar mit 3 Nestlingen zu sehen, sondern die Kleinen waren auch noch sehr junge Dunenjunge. Entweder hat dieses Brutpaar also einfach recht spät mit der Eiablage begonnen oder aber es handelte sich um ein Ersatzgelege einer gescheiterten Erstbrut. Durch die aufwendige Aufzucht der Jungen findet bei Turmfalken nur eine Jahresbrut statt. Falls diese jedoch in einem frühen Stadium scheitert, wird ein neuer Versuch gestartet. Diese Strategie verfolgen einige Vögeln, die im Normalfall nur eine Jahresbrut anlegen.
Die 3-6 Eier eines Geleges werden im Gegensatz zu den echten Greifvögeln (Accipitriformes) erst richtig bebrütet, wenn das Gelege vollständig ist. Das stellt sicher, dass alle Jungen einen ähnlichen Entwicklungsstand aufweisen. Das Ausbrüten dauert dabei 27-31 Tage und noch einmal solange dauert es (27-35 Tage), bis der Nachwuchs flügge wird, dann aber noch einen weiteren Monat von den Eltern abhängig ist und von diesen versorgt wird. Das nennt man dann die Bettelflugphase.
Im März zeigte sich diese Turmfalken-Dame auf ihrer Ansitzwarte im Sonnenlicht, von wo aus sie sicher nach leichter Beute Ausschau gehalten hat. Dass Turmfalken gerne Mäuse jagen und besonders die zu den Wühlmäusen zählenden Feldmäuse, ist auch außerhalb ornithologisch interessierter Kreise wohlbekannt. Bei Mäusemangel oder günstiger Gelegenheit wird der Speiseplan gerne auch um Großinsekten wie Libellen oder Heupferde erweitert. Auch bei Amphibien, Reptilien und Vögeln – vor allem Jungvögel – kommt es vor, dass das letzte, was sie in ihrem Leben erblicken, ein (zugegeben süßes) Turmfalkengesicht ist.
Interessant beim Nahrungsspektrum ist vor allem der Aspekt des Standortes. Während bei unseren Turmfalken vor allem Kleinsäuger das Gros der Nahrung ausmachen und gelegentlich mit Insekten und Vögeln ergänzt wird, zeigt sich in Südeuropa eine andere Nahrungszusammensetzung: Hier dominieren Vögeln, Eidechsen und Insekten den Speiseplan.
Auch lokale Begebenheiten können Einfluss auf die Zusammensetzung der Beute haben, wenn es in der Nähe gute Plätze für Fledermäuse gibt, können sich daraus lokale Spezialisierungen beim Beuteerwerb auf die Fledertiere ergeben. So gibt es auch Orte mit steilen Felsen, an denen sich die lokale Population von Turmfalken auf das Plündern von Mehlschwalbennestern spezialisiert hat. Man nimmt halt, was man kriegen kann
Mitte Juni gelangen mir an einem eigentlich für Schleiereulen gedachten Kasten einer Kirche, die Aufnahmen dieser frisch flüggen Turmfalken. Wie bei vielen Vögeln, so wird auch der flügge Nachwuchs noch eine Zeit lang durch die Eltern versorgt und betreut. Die beiden letzten Bilder zeigen den Terzel (Männchen) wie er die für Turmfalken wichtige Beute, die zu den Wühlmäusen gehörende Feldmaus, seinem Nachwuchs übergibt.
Um satt zu werden benötigt ein adultes Individuum je nach Bedarf (Witterung, Brut, individueller Kalorienbedarf, Geschlecht, Gewicht der Beute etc.) 4-8 Mäuse am Tag. Mit einer Erfolgsquote von 15-20% bei der Jagd gilt der Turmfalke als extrem erfolgreicher Jäger. Neben vielen bereits von mir in Beiträgen erwähnten Anpassungen (UV-Sehvermögen, Rüttelflug, Sehschärfe, Falkenzahn), ist der Turmfalke wie auch andere Falken, im Besitz von gleich 15 Halswirbeln, die ihm eine 180° Drehung des Kopfes ermöglichen und dabei auch während des Rüttelflugs helfen den Kopf an Ort und Stelle zu lassen, während der restliche Körper die Windbewegungen ausgleicht.
Diese 4 prächtig gewachsenen Turmfalken-Kinder haben sich im Juli in einer Nisthilfe an einer alten Dorfkirche gezeigt.
In der biologischen Forschung wird seit vielen Jahren diskutiert und durch Studien untersucht inwieweit verschiedene Variablen Einfluss auf das auszubildende Geschlecht des Nachwuchses haben. Insbesondere wurde auch viel an Greifvögeln bzw. Falken und speziell Turmfalken geforscht. In einer bei dieser Thematik noch recht aktuellen Studie aus dem Jahr 2010 (Wu et al. 2010) konnte man bestätigen, dass ein saisonal früher Brutbeginn eher die Entwicklung von Männchen fördert, während ein späteres Gelege eher Weibchen fördert. Aber auch Faktoren wie Gelegegröße (kleineres Gelege, mehr Weibchen) sowie Eimasse (höhere Masse, mehr Männchen) haben einen Einfluss auf die Ausbildung des Geschlechts einer zukünftigen Turmfalkengeneration.
Die biochemischen bzw. hormonellen Details sind noch nicht erforscht, aber es macht natürlich Sinn, dass verschiedene Variablen Einfluss auf die Herausbildung bestimmter Geschlechter haben und es wird in der Forschung spekuliert, ob u.a. Turmfalken gezielt die Entwicklung in die eine oder andere Richtung verschieben können. Alternativ gibt es auch genug zufällige und umweltbedingte sowie genetische Einflussgrößen, die dafür Sorge tragen, dass das Verhalten von Turmfalken breit gestreut wird.